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„Ich wünschte, mein Sex wäre so schmutzig …“

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„Ich wünschte, mein Sex wäre so schmutzig …“

Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Zum 20. Mal zog am 30. Juli die CSD-Polit-Parade durch Stuttgart. Unter dem Motto „Operation Sichtbarkeit“ schlängelten sich 4500 TeilnehmerInnen vorbei an 170 000 ZuschauerInnen. In 84 Gruppen und Wagen von Parteien, Sport- und Kulturvereinen, Firmen und Gewerkschaften ging es vom Marien- zum Schloßplatz. Die Teilnahme der CDU blieb in diesem Jahr aus. Zum ersten Mal dabei war die Türkische Gemeinde Baden-Württemberg.

Weil die Parteikasse kein Geld für einen Wagen zur Verfügung stellen wollte, sagte der CDU-Fraktionschef im Stuttgarter Gemeinderat Alexander Kotz die Teilnahme in diesem Jahr ab, heißt es in einem Bericht der Stuttgarter Zeitung. Ansonsten waren alle bekannteren parlamentarischen Parteien von der Piraten Partei: „Gleiche Liebe – Gleiche Rechte“, bis zur FDP: „Sei einfach sexy smart frei“ vertreten. Die Partei Die Partei erklärte: Fickt euch! Wen(n) ihr wollt“.

Der Abwärtstrend bei der Anzahl der ZuschauerInnen setzte sich auch in diesem Jahr fort. Im Jahr 2014 wurden noch 220 000 gezählt (siehe „Bunt, schrill, vielfältig„). Im letzten Jahr waren 200 000 am Wegrand der Parade (siehe „CSD: Die Homo-Ehe mobilisiert„). Am vergangenen Samstag sollen nach Polizeiangaben 170 000 ZuschauerInnen anwesend gewesen sein.

Der Christopher Street Day erinnert an den 28. Juni 1969 in New York. An diesem Tag setzten sich erstmals Transvestiten, Transsexuellen, Schwule und Lesben gemeinsam gegen staatliche Willkür und gewaltsame Übergriffe der Polizei zur Wehr. Schmelztiegel war die Bar „Stonewall Inn“ in der Christopher Street.

Die Türkische Gemeinde erstmals vertreten

An Position Nummer 7 in diesem Jahr zum ersten Mal eine Formation der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg (TGBW). Die Teilnahme der TGBW am CSD in Stuttgart ist Teil des Projekts „Kultursensibel sexuelle Orienteirung“. Irritierenderweise mit einer Teilnehmerin gehüllt in die türkische Nationalflagge mit dem Abbild Mustafa Kemal Atatürks darauf. Dem Nationalismus Atatürks bedient sich auch das heutige Regime um Recep Tayyip Erdogan. Trotz einer Opposition zu Erdogan stehen die AnhängerInnen Atatürks auch in der Kurdenfrage dem heutigen Regime in nichts nach.

Viel nackte Haut und innovatives Marketing  

Auch in anderer Hinsicht blieb fragwürdig, wer genau beim Umzug alles sichtbar werden konnte. Dies wurde schon an der ersten Formation, der den ZuschauerInnen entgegenkam deutlich. 19 augenscheinlich männliche und drei weibliche Personen auf Motorrädern bilden die Spitze des Zuges. Das Aufheulen der Maschinen erinnerte, zusammen mit dem Gebaren der männlich Fahrer, an aus heterosexuellen Rollenbildern bekannte männliche Normative.

In diesem Sinne könnte auch die solidarische Banner-Aktion einiger AktivistInnen auf der Paulinenbrücke zu verstehen gewesen sein. Eine der Aktivistinnen gab dazu später an, sie wollten nochmal dafür sensibilisieren, dass „Kämpfe für ein gutes Leben nur erfolgreich werden, wenn sie intersektional geführt werden“ und es sich bei CSD-Wagen ganz ohne politische Parole doch nur um innovatives Marketing handeln würde. So feierten die MitarbeiterInnen auf den Wagen nicht nur sich und die Unternehmensstrategie ihres Managements, sondern platzierten das Werbematerial szenenah bei der Zielgruppe. Die Kosten für einen Wagen in Höhe von bis zu 7000 € regulierten bei dieser Polit-Parade damit nicht nur die Teilnahme parlamentarischer Parteien, sondern verschließen auch nicht kapitalstarken Organisationen und Personen die Sichtbarkeit.

„Ich wünschte, mein Sex wäre so schmutzig …“

Große Aufmerksamkeit und viel Beifall erhielt ein schwarz gekleideter Transvestit für seine klare Botschaft: „Ich wünschte, mein Sex wäre so schmutzig wie die Politik der AfD“. Ein Schild mit der Aufschrift „mehr Analtiefe wagen“ erfreute das Publikum ebenfalls auffallend, da es stilistisch auch an die rechtsradikale Partei erinnerte.

Abschluss auf dem Schloßplatz – Party auf dem Markt- und Schillerplatz

Der Schirmherr des diesjährigen Stuttgarter CSD, Gregor Gysi, war mit einer Audiobotschaft vertreten. Auf der Abschlusskundgebung auf dem Stuttgarter Schloßplatz forderte Gysi  nicht nur eine „Toleranz gegenüber Andersartigen, sondern die Akzeptanz der Vielfalt“.

Christoph Ozasek und Laura Halding-Hoppenheit

Neben Christoph Ozasek, Stadtrat SÖS LINKE PluS, sprach auch „das Juwel von Stuttgart„, Laura Halding-Hoppenheit. Sie erklärte, „wir haben heute eine Flamme der Liebe entfacht, die ich in Eure Hände lege“. Es gelte, diese weiterzutragen und auch in den Ländern leuchten zu lassen, in denen heute noch „lesbische, schwule und transsexuelle Brüder und Schwestern verfolgt werden“. Ozasek forderte die Rehabilitierung der Opfer des Paragrafen 175. Dieser Paragraf sei erst im Jahr 1994 gestrichen worden. Von den Betroffenen lebten heute noch etwa 50 000. Dieser Personenkreis hätte bisher keine Entschädigung erhalten.

Weitere Reden hielten Gökay Sofuoglu, Vorstandsvorsitzender der TGBW – Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg und Christoph Michl, Geschäftsführer der IG CSD Stuttgart e.V.

Im Anschluss an die Kundgebung ging mit der CSD-Hocketse auf dem Markt- und Schillerplatz fröhlich weiter.


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